3. 1.

3. 1. franco evangelisti „vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

 

„Dieses Buch wendet sich an alle, die sich diesem Druck zu entziehen wissen, und soll besonders ein Appell an die Juengeren sein und nicht die schon ranzigen Kraefte meiner Generation.“

f. evangelisti

 

 

Der dritte abschnitt ist eine auseinandersetzung mit Franco Evangelisti „gewidmet“, dessen schaffen eine wichtige inspiration dieser arbeit darstellt. Auch wenn er nicht als ein „klangrevolutionaer“, „genie“ oder aehnliches sich in die „musikgeschichte verewigen“ wird, so war sein wirken dennoch ein „schillerndes“ erscheinen; wenngleich auch nicht vordergruendig „musikalisch“, jedoch wird er trotzdem als ausdruck einer „klang-phantasie“ und bestimmten „phase“ der musikevolution bleiben. Er galt im umfeld der zeitgenoessischen musiker und theoretiker stets als aussenseiter und war aufgrund seiner kritik und seines auftretens gegenstand hitziger debatten und mit ablehnung konfrontiert. Der nur geringe wahrnehmungsgrad und rezeption seines schaffens bzw. visionen, sind ein bedeutender faktor ihn als „hauptquelle“ zu verwenden. Immer wieder referierte er ueber den „untergang der abendlaendischen musik“ und ihre ausgezehrtheit. Er arbeitete kontinuierlich, von 1957 bis zu seinem tod, an dem essay „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“. Nach einiger kritik, seiner aussagen betreffend, entschloss er sich folgend das komponieren aufzugeben; so sind in diesem zeitabschnitt kaum musikalische werke entstanden. Ausser der organisation von zeitgenoessischer musikfestivals, seiner taetigkeit, in der von ihm gegruendeten improvisationsgruppe „nuova consonanza“, dem versuch neue ansaetze fuer die elektronische musik zu finden (die letzen 11 jahre, zusammen mit dem ingenieur lorenzo viesi 1)) und einige vortraege geben seine hauptsaechliche taetigkeit der letzten zwanzig lebensjahre wieder. Sein auftreten war stets bemueht, eine kontroverse und diskussion zu schaffen, praegnant beschrieben von dieter schnebel „Wenn man ihn in oeffentlichen Situationen traf – bei Konzerten tauchte er manchmal unvermutet im Foyer auf, ohne dass man ihn im Saal selbst sah-, schimpfte er stets heftig und lautstark: auf die Situation, auf Kollegen, ueberhaupt auf alles.“ 2).

 

Dass er damit nicht auf allgemeine zuneigung treffen wuerde, ist nicht sonderlich verwunderlich, sehr wohl jedoch ausdruck seiner verzweifelten situation und suche, die seine exponierte lage bedeutete. Auf die an ihn oft gestellte frage bezueglich seiner organisatorischen taetigkeiten beantwortete er stets sehr offen „Ich bin auf der Suche nach Freunden“ 3),

 

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verbunden mit der hoffnung, dass auch anderen die festgelaufene situation der zeitgenoessischen musik auffallen wuerde und so ein ansporn fuer eine neue entwicklung sein koennte.

 

Diese mag auch eingetroffen sein und mitunter ausdruck zeitgenoessischer musik sein, wo viele komponisten ihre erfahrungen mit elektronischer musik in instrumentale kompositionen (auch in verbindung mit elektronik) „umwandeln“ und so einen weg in eine neue klangzukunft ebnen, die zu damaliger zeit sich noch nicht derart selbstverstaendlich abzeichnen konnte. Es waere auch sehr interessant wie evangelisti auf diese entwicklungen und vor allem die moeglichkeiten des „musikalisch“ angewandten computers reagieren wuerde. Vielleicht waere es ein „mittel“ gewesen, das ihn aus dem „schweigen“ gefuehrt und die moeglichkeit gegeben haette seine komposition „Campi integrati n.2“ zu verwirklichen wie es geplant wurde, als elektroakustisches stueck. Vielleicht hat heute nicht mehr alles geltung, was evangelisti kritisierte; viele aspekte sind jedoch heute ebenso aktuell wie damals und es sei betont, dass auch die elektronische und die von ihr beeinflusste musik nicht ohne ignorierung, anfeindungen, ablehnung konfrontiert ist, und dies nicht nur in der „allgemeinen gesellschaftlichen“ wahrnehmung. Auch wenn „anfeindungen“ bzw. „ablehnung“ nicht exakt das wieder gibt wie sich die situation darstellt, kann man in diskussionen und debatten durchaus „aggressive“ tendenzen feststellen. Treffender haben die situation theodor w. adorno und karlheinz stockhausen in einem gespraech, das sie in einer radiosendung „anlaesslich“ der enormen ablehnung „neuer musik“ fuehrten (1960), getroffen: sie einigten sich darauf, dass die neue musik nicht abgelehnt oder angefeindet ist, sondern schlichtweg nicht wahrgenommen werde, was noch bedenklicher sei 4). Dieser aspekt hat auch heute noch seine gueltigkeit und nichts an Bedeutung verloren.

 

Gesellschaftliche tendenzen, kritik an der allgemeinen wahrnehmung und generelle besorgnis zur situation der menschheit sind auch aspekte, die immer wieder in den schriften evangelisti“s erwaehnung finden und weiterhin diskutiert werden sollten. Vielleicht war es auch ein zentraler beweggrund fuer evangelisti, nach der urspruenlichen bedeutung von musik zu forschen, um mehr zu sagen als dass die musik nur ihrem selbstzweck dienen wuerde und darin eine wichtige funktion laege (neben der klangevolution, die stetig voran schreitet). Erklaert auch das radikale „mittel“ (aus musikalisch/musikschaffender sicht) saemtliche kompositorische taetigkeit niederzulegen, die bedeutung von musik zu unterstreichen und nicht noch mehr „funktionserfuellende“ kompositionen hinzuzufuegen. Es schien ihm bewusst, dass es sich bei diesem „essay“ um einen versuch handelt, wo weder ein weg beschrieben wird, den die musikevolution gehen wird, noch dass seine nachforschungen ihn zu einer „neuen klangzukunft“ fuehren wuerden: „Sollte ich selbst eventuell aus naheliegenden wirtschaflichen oder sozialen Gruenden (freilich nach Beendigung dieses Buches) wieder Musik

 

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schreiben, erklaere ich schon jetzt, dass ich jene moeglichen spaeteren Werke einzig als Wiederholung schon erprobter, akademischer Formeln betrachte. Was fuer mich zaehlt, ist das Bewusstsein und das Wissen um ihren Wert im Vergleich zu meiner musikalischen Realitaet“ 4a).

Sein analytisches vorgehen, experimentieren und untersuchen sind ein versuch, die gegenwart zu erfassen und aus ihr heraus einen weg zu finden, in eine konstruktion eines neuen „moeglichen systems“, der einzig die idee der „Organistation des Klanges“ 4b) zugrunde liegt.

 

Es scheint mir ganz klar, weswegen evangelisti gar nicht seine kompositionstaetigkeit weiterverfolgte, denn der „aeussere und innere druck“ der entstanden waere, haette saemtliche sinnvolle arbeit, ergebnisse und auffuehrungen zu einer unertraeglichen last werden lassen. Man darf nicht vergessen, dass evangelisti, aufgrund seiner vortraege und schriften, sehr „belaechelt“ wurde. Seine thematik schien fuer viele eine „bedrohung“ darzustellen und nichts waere jenen „kraeften“ lieber gewesen, als dass evangelisti in seinen eigenen werken an seiner „neuen klangzukunft“ scheitern wuerde. Vergleichen koennte ich es mit meiner arbeit insofern, als dass ich im vorhinein behaupten koennte: es handle sich um ein „visionaeres werk“. Kaum auszudenken, wie gross und schwer der „innere druck und belastung“ bei jedem geschriebenen wort wiegen wuerde…

Evangelisti muss bei seinen behauptungen, bestimmt einiges „ertragen“ haben, hat aber in der gestaltung seiner schrift, eine aeusserst gute form und logik entwickelt. Neben persoenlichen erlebnissen und erfahrungen kommt vor allem einer „naturwissenschaftlichen“ methodik besondere bedeutung zu. Aus ihr schafft er immer wieder aus allgemein anerkannten tatsachen, neuesten forschungsergebnissen und evolutionswissen, zu seinem persoenlichen erleben zu fuehren; somit von einer objektivitaet zur subjektivsten realitaet, die evolutionaer und wissenschaftlich nachvollziehbar wird. Nochmals sei auch erwaehnt, dass „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“ nicht vollendet wurde und diese keine abgeschlossene arbeit darstellt. So bleiben einige versprechen bezueglich der „klangzukunft“ unbeantwortet und offen. Vielleicht sind die originalen manuskripte und skizzen noch etwas aufschlussreicher und koennten noch eine weitere ahnung mancher aspekte geben; diese sind mir aber nicht zugaenglich geworden.

 

Das essay ist in zwei teile gegliedert. Im ersten teil wird nach einem persoenlichen vorwort und erklaerungen ein grundlegendes wissen der thematik aufgebaut. Eine diskussion ueber das gaengig verwendete tonale grundsystem, aufarbeitung historischer visionen von f. busoni, l. russolo, e. var�se… Besprechung von konkreter und elektroakustischer musik, gegenueberstellung serieller und offener form. Die hervorhebung der indischen musikkultur und reflektion im abschliessenden kapitel, zur „musikalischen Rueckentwicklung der Avantgarde“.

 

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Teil zwei beginnt mit einer zusammenfassung bzw. versuch einer anthropologie zur entwicklung, funktion und evolution der musik und des gehoers, geht in eine standortbestimmung „musikwissenschaftlicher Untersuchungen und ihrer Grenzen“ ueber, versucht eine „ortung“ wichtiger aspekte der damaligen musikentwicklung, in bezug auf das essay und annaeherung des „wesens“ der musik; bis zur forderung nach „einer neuen Klangwelt, die nicht mehr Musik sein wird“.

 

So sind einige aspekte als fundament meiner arbeit von grosser bedeutung, die ich auszugsweise zusammenfassen moechte; wie auch die grundlagen und deren hinterfragen, die den „naeheren eroeterungen“ evangelisti’s vorangestellt sind, aktuell sind und eine diskussion, in groesserem umfang, stattfinden sollte.

 

Einleitend fuehrt evangelisti eine diskussion ueber das verwendete tonale grundsystem (temperierte stimmung), ihre historische bedeutung und entstehung. Diese veranschaulicht die „eingeschraenktheit“ und als nicht mehr der zeit entsprechenden ausdrucksmittel; jedoch auch die schwierigkeit, die musikgeschichte zu reflektieren, da uns nur ein geringer ausschnitt ihrer „wirklichen“ realitaet bzw. nur fragmente bekannt sind. Die infragestellung des „Instrumentalsystems“ wird aufgeworfen, wie auch die frage nach „einem System auf voellig neuen Grundlagen“ 5). Hier meint evangelisti sei diese diskussion, vor allem durch das erscheinen der elektronischen musik und ihrer moeglichkeiten aufgeworfen worden, die aber seiner meinung, noch zu keiner loesung gefuehrt hat. Die hoffnung, die evangelisti an die elektronische musik hatte, konnte dieser temporaere „totpunkt“ keinen abbruch tun und manifestiert sich in konzeptionen, „forschungstaetigkeit“ stetiger beschaeftigung und interesse an neuesten entwicklungen. Er schien vollkommen ueberzeugt von den neuen perspektiven des elektronischen mediums und fand in ferrucio busoni und luigi russolo zwei fruehe visionaere, die sowohl neue konzeptionen des tonsystems verfolgten (busoni), als auch die hinzunahme der „geraeuschwelt“, durch neue instrumente, forderte bzw. entwickelte (russolo). Es wird der versuch busoni“s in seinem „sechsteltonsystem“, das in ihm entstandene beduerfnis nach einer tonalen klangerweiterung genauer untersucht. Sein interesse an neuen instrumenten und seine visionaeren hoffnungen an eine neue form der musik stehen gleichfalls im mittelpunkt. Auch der ansatz und instrumentenentwicklung russolo’s (beschrieben in seinem buch „L’arte rumori“) in die „Musiksprache“ 6) einzufuehren, ist eine auseinandersetzung gewidmet. Wenngleich viele ihrer ideen heutzutage gaengig sind und in viele bereiche des musikschaffens einzug hielten, die visionskraft, die dieser ideen anhaftet und eindrucksvolle schriften zeugnis geben, ist auch heute nicht allgemeiner „common sense“. In diesem zusammenhang wird auch schoenberg erwaehnt, der in seiner „harmonielehre“, die sehr umstritten war bzw. deren ergebnisse lange ignoriert wurden, „spuerte aufgrund seiner logischen Analyse, dass das temperierte System fuer zukuenftige

 

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Entwicklungen nicht mehr zeitgemaess sei…“ 7). Der hinweis schoenbergs auf das spaerlich vorhandene instrumentarium, das die faehigkeit besitzt andere tonsysteme wiederzugeben, muss erst entwickelt werden. Vor allem jedoch das erscheinen von edgard var�se (*1885 – 1965) und john cage (*1912 – 1992), die fuer evangelisti, vor allem klanglich/kompositorisch die eingeschraenktheit der „alten musikformen“ sprengten, werden intensiv besprochen. Ihre beschaeftigung/verbindung zur elektronischen musik, geraeuschwelt, konsonanz und dissonanz ist auf verschiedenste art in ihren werken enthalten. Wenngleich sie zwei vollkommen unterschiedliche ansaetze verfolgten und verschiedenen generationen angehoeren, sind sie zwei zentrale komponisten, in evangelisti’s schrift und der musik des 20. jahrhunderts. Ihnen scheint einzig gemein, dass die 12-ton komposition nur geringe bzw. keine bedeutung in ihrem schaffen darstellt (auch wenn j. cage kurze zeit schueler bei schoenberg war) und die forderung das „geraeusch“ in die klangwelt zu integrieren. Auch ihre ansaetze in der verwendung der elektronischen moeglichkeiten ist grundverschieden und gemeinsames nur in ihrem fruehen interesse zu finden (cage: „imaginary landscape no.1“ 1936; var�se: „ecuatorial“ 1934 und seine forschungen in den „bell-lab’s“, in den spaeten 30ern). Deutlicher erkennbar an der tatsache, dass var�se die „ueberlegungen“ (philosophie) von cage nicht sonderlich schaetzte. Waehrend cage durchaus var�se achtete, vor allem da var�se das „Geraeusch einfuehrte – und zwar in die Musik des 20. Jahrhunderts-, macht ihn fuer die heutigen Erfordernisse sogar wichtiger als die Wiener Meister, deren Begriff von der Zahl 12 seit einiger Zeit nicht mehr so aktuell ist,…“ 8). Dennoch, ihre ueberlegungen und werke, sind zeugnise von grosser schoepferischer kreativitaet und visionskraft. Edgard var�se hatte mit seiner vorstellung von „akustischen-projektionen“, seine versuche elektronische klaenge mit dem orchester zu verbinden, ansaetze verfolgt, die sich von vielen anderen stroemungen seiner zeit unterscheidet. Waehrend stockhausen, in seiner „studie 2“ (1954) durchwegs noch in einer „evolutionskette“ erklaerbar scheint, kam var�se zu gaenzlich anderen ueberlegungen („poŽme Žlectronique“). So entsteht der vielleicht etwas kuriose eindruck, als haette var�se zur damaligen zeit, mehr verbindung zur heutigen form elektronischer musik als stockhausen, welches jedoch schon einer differenzierteren untersuchung beduerfte. Jedenfalls koennte ich nicht besser als evangelisti die einzigartigkeit var�ses beschreiben: „Er war seiner Zeit voraus: immer auf der Suche nach neuen Mitteln, erstrebte er eine neue Klangwelt, fand sich aber aus einer aeusserst zurueckgebliebenen Gesellschaft ausgeschlossen.“ 9).

 

Auch john cage war ein radikaler neu-querdenker, der durch seine ungewoehnlichen ansaetze und ideen viel veraenderte/beeinflusste/erahnte. Evangelisti erwaehnt cage immer wieder, und seine ausserordentliche bedeutung (es sei nur auf „Silence“, „Die Zukunft der Musik – Credo“ und musikalische werk hingewiesen).

 

 

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Neben einem kurzen geschichtlichen abriss zur „musique concrŽte“, der „koelner studio’s“ und ihrer vertreter, wird adorno als scharfsinniger theoretiker/kritiker genauer besprochen; auch die vielen anderen musiker/komponisten/techniker, die mit diversen experimenten versuchten, neue „mittel“ zu entwickeln und „die sich alle auf ihre Art fuer die musikalische Erneuerung einsetzten“ 10) (Leon Theremin, Friedrich Trautwein, Maurice Martenont…).

Das kapitel „Mehrdeutigkeit und Werk“ ist eine betrachtung von „deternimierter und in indeterminierter musik“ gewidmet, das vor allem durch cage zu heftigen kontroversen fuehrte. Evangelisti findet enorme bestaetigung im bestreben von cage, das ihn zu folgender aussage fuehrte: „Vor allem darf man das Hauptproblem dieser kritischen Periode nicht aus den Augen verlieren: das Ende, und hier ist keine Taeuschung moeglich, der Instrumentalmusik und die Umgestaltung der gesamten Klangwelt unter ganz neuen Perspektiven“ 11). Es ist kaum noch vorstellbar, wie einschneidend sich cage, seine neue ansichten und perspektiven in die seriell-europaeische musikwelt auswirkten, auch wenn seine „einsichten“ lange zeit massiv abgelehnt wurden. Fuer evangelisti, der in cage ein wichtiges fundament seiner anliegen findet, war er allerdings ein „lebensnotwendiges“ moment, um in seinem weg bestaetigung und rueckhalt zu finden. Offene form und aleatorik sind nicht mit wahllosigkeit und unbewusstsein zu verwechseln, was evangelisti im „bewusstem Vorgang des Aleatorischen“ 12) zum ausdruck brachte. Die „offene form“ bedeutete jedoch einen neuen „Eingriff des Interpreten ins Herz der Komposition“ 12a) und konnte im interpreten gleichsam als eine instrumentenangabe gedeutet werden (zb. sylvano bussotti’s „Five piano pieces for David Tudor). Betonen moechte ich vor allem, wieviel sich in den letzten jahrzehnten veraendert hat und viele hervorragende, spezialisierte interpreten neuer musik ihr „handwerk“ verfolgen. Dieser aspekt wird weitergefuehrt, in einer beschaeftigung mit der indischen musik, wo eine differenziertere sicht des verhaeltnisses von komponist und interpret gehandhabt wird. Komponist und interpret sind zumeist in einer person enthalten. Die gestaltung von rhythmik, tonhoehen und improvisation zeugen von einer hochentwickelten kultur, die hauptsaechlich „muendlich“ weitergegeben wird. Zitiert sei in diesem kontext mohanlal bajpai, der die westliche und indische musik folgend beschrieb: „Die abendlaendische Musik ist die objektive Beschreibung einer klanglichen Emotion, waehrend die indische ihre unmittelbare subjektive Realisation ist.“ 13). Es mag augenscheinlich sein, weshalb evangelisti sich eingehend mit der indischen kultur beschaeftigte, denn er erlebte tendenzen und parallitaeten in den damals neuesten entwicklungen, der zeitgenoessischen musik. Vielleicht ist heute noch ausgepraegter erkennbar durch den computer die entwicklung und anwendungsmoeglichkeiten der elektronischen musik. In diesem aspekt mag evangelisti den einfluss und moeglichkeiten der elektronischen musik unterschaetzt haben. Er kommt zum ergebnis, dass egal ob offene oder

 

(26)

 

 

geschlossene form angewendet „der abgenutzten Instrumentalmusik noch etwas wirklich Neues hinzufuegen“ koenne und bekraeftigt seine forderung nach der „Erneuerung der ganzen Klangwelt“ 14). Auch wenn er noch einen schimmer von moeglichkeiten durch die schoepferischen einfluesse der interpreten ortete, und zwar in bezug auf die instrumentalmusik. Der klangliche und technische fortschritt der elektronischen musik hat sowohl die instrumental-klassische gegenwart, interpreten und komponisten bereichernd erweitert, als auch neue formen elektroakustischer musik und improvisationskultur entstehen lassen, was zu gaenzlich neuen formen und ansaetzen fuehrte; diese kann allerdings in der hoffnung evangelisti’s an die elektroakustik ansatzweise erkennbar sein, auch wenn der enorm neue impuls fuer die instrumentalmusik von ihm nicht erkannt wurde. Er war der auffassung, dass „Wer versucht, die Instrumentalmusik mit der elektronischen Musik und ihren Hilfsmitteln zu verschmelzen, sollte sich nicht taeuschen: die alte Klangwelt noch mit solchen Hilfsmitteln zu manipulieren zu unternehmen, ist nur ein letzter Versuch, das Rettbare zu retten“ 15). Vielleicht hat er auch recht und es wird die entwicklung in einigen jahren tatsaechlich zutreffen, oder muss als historische sicht, wie sie sich ihm darstellte, gesehen werden. Ich teile diese meinung mittlerweile allerdings nicht, auch wenn ihr ein kern an wahrheit zugrunde liegt, der des oefteren in einigen werken der instrumentalmusik zum ausdruck kommt und elektronische mittel einzig als effekterweiterung von instrumenten angewandt werden.

 

Die einfuehrung in die indische musik, veranlasst evangelisti noch zu einer genaueren analyse der verwendung/manipulationen von instrumenten, die cage in seinen werken verlangte, und sieht darin die realisierung seiner perspektive. Folgend reflektiert er busoni’s „Versuch einer neuen Aesthetik der Tonkunst“ auf die beschraenkten moeglichkeiten des traditionellen instrumentariums. Was ihn zu einem „studium“ des schaffens von anton webern fuehrt, einem hauptcharakteristikum „die Kuerze der Exposition“ 16) und indem er seine grosse bedeutung hervorhebt.

Der abschliesende abschnitt seines essays ist einer kritischen beleuchtung der „avantgarde“ gewidmet. Es wird ueber aktuelle stroemungen, die situation der elektronischen musik reflektiert und darueber hinaus aktuelle tendenzen menschlichen verhaltens bedauert.

 

 

 

Der zweite teil ist schriftlich noch nicht zusammengefasst: meine bearbeitung besteht „nur“ aus notizen, ideen, kommentaren und seitenangaben. Ist aber so aufgearbeitet, dass er alle fuer mich wesentlichen aspekte enthaelt und derart gestaltet, dass ein „assoziertes“ lesen moeglich ist und sinn ergibt. Es erspart jedoch genauso wenig, bei spezifischen fragen, das nachlesen im „Vom Schweigen zu einer neuen Klangzukunft“, wie im ersten teil.

 

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2. teil

 

1. funktion und entwicklung des gehoers in der musik

 

– kurze analyse, der beziehung zwischen menschl. evolution, entwicklung des

gehoers, und der entfaltung der musik

– darwin, linne, lamarck, mendel…

– viele entwicklungsphasen („uebergaenge“) sind heute noch nicht

geklaert…

auch der unterschied zwischen dem menschen und den tieren (physisch u.

psychisch) schwer zu analysieren…

-> zusammenspiel mehrerer disziplinen geologie, anthropologie,

ethnologie, biologie, ethnographie und besonders die genetik…

 

 

– bedeutung, entwicklung, widersprueche, fixierung des begriffs „kultur“

– geschichte der untersuchungen des gehoers -> vom 16jh. in italien

(vesalio…) bis zur gegenwart…

– mensch. evolution -> biologische (organische) und kulturelle

(ueberorganische) entwicklung -> dobzhansky

„… es besteht ein feedback zwischen biologischen und kulturellem

prozess“

„…<anpassungsfaehigkeit> des menschen“

 

 

– unterschied zwischen genetischer und kultureller vererbung -> kultur

„…wird nur durch lernen und nachahmung erworben und allein durch

unterweisung uebertragen.“ dobzhansky

– reflexion ueber das organ „ohr“ und gehoer -> funktion (trommelfell,

bioelektrische uebertragung zum gehirn…) und „gebrauch“

 

– stimuli und klangphaenomene -> siehe s. 90-91

 

– „Dieses stadium, das aus den vom gehoer erhaltenen informationen

abgeleitet und durch die

sensorielle heraufkunft einer allgemeinen „klangwelt“ charakterisiert

ist, die einen notwendigen rueckhalt fuer die selbsterhaltung und das

ueberleben darstellt, moechte ich mit dem buchstaben A bezeichnen,…“

 

– durch kulturelle entwicklung, wird der mensch immer staerker mit

klanglichen reizen konfrontiert,

„…die ihn langsam immer mehr aus der sphaere des blossen ueberlebens

herauszieht.“ dies setzt eine auseinandersetzung eine beschaeftigung und

verstaendnis mit den mechanismen und verschiedenen etappen voraus, die

eine „entstehung der kultur“ ermoeglichte.“

 

 

(28)

„…die intellektiven faehigkeiten des „homo“ aus dem rein zoologischen

stadium in ein soziales uebergehen.“

 

– beziehung zwischen dem gehirn (gesicht) und der hand… siehe s.93

– oszillation von schrift und sprache (hand – mund)

– gehoersfunktion -> ueberleben

weiters: kommunikation von gedachtem „…zur vermittlung der inneren

taetigkeit des menschen und seiner kulturellen evolution.“

-> buchstabe B s.95 (gruppe)

– unterschied -> mensch – primaten – saeugetiere

-> beduerfnisse des menschen ausserhalb des triebes (siehe

zitat murphy s. 95)

 

– spiel und aesthetik

-> wittgenstein: spiel traegt lohn in sich selbst; ausfuehrung selbst

bereits „die befriedigung“

-> erwerb von geschicklichkeit -> praxis und uebung…

 

– aesthetik dem menschen eigen -> „ausnahmen“…

– „… die progressive intellektualisierung der empfindungen fuehrt den menschen zur bewussten wahrnehmung und produktion von rhythmen und werten, zu codes, deren symbole ethnische bedeutung haben, so die der musik, der dichtung oder der sozialen beziehungen.“ dobzhansky

 

 

– klang -> geheimnisvolle macht, donner – schrei – tier – emotion –

wiederholung – imitation (ueberleben?),

– erste instrumente -> steine, kiesel, holz?

– „musik“ auf der ganzen welt nachweisbar -> stimme erstes

emissionswerkzeug (es gibt keinen beweis)

-> mensch-stimme-vergleich- mit instrumenten

-> buchstabe C s. 99

 

– kulturelle ueberlagerungen – kolnialisierung

– grundsystem, das besitz jeder kultur ist…

– aktuelle stadium C` -> jenseits der ueberlebensfrage…

– music concrete siehe s. 101…

 

 

 

2. der stand der heutigen musikwissenschaftlichen untersuchungen und ihre grenzen

 

– …erneuerung der musikalischen welt…?!

– versch. musik. zentren in der welt… -> mit ziel erneuerung der musik…

-> “ …das fehlen der vergleiche bringt ergebnisse, die schon bekannt

waren, was aber nur wenige zugeben moechten.“

 

(29)

 

– „wer aus der welt der kunst kommend die notwendikeit verspuert, sich vor allem in einem krisenmoment auf wissenschaftlichkeit zu berufen, muss diesen diskurs immer mehr vertiefen. …“ … siehe s.106

 

– a. moles (zitat)

– ircam… -> boulez -> forschungen -> instrumentenbau s.109-111

– kritik an boulez

– heutige forschung -> hauptsaechlich klangfarbe -> wo ist das geraeusch? -> wunsch von cage

und var�se ?

– definierung des klangs -> eine empfindung des hoerorgans…

– klangquelle, leitendes medium, rezeptionsorgan s. 114

– akustik -> verhaeltnis aus physik und physiologie.

– beschreibung und verlauf von der klangquelle bis zum hirn…

– helmholtz -> hauptunterschied zwischen „geraeuschen und musikalischen

klaengen…“ -> kritik dieser ansicht s.116

– cage versteht alles ausserhalb des temperierten systems als geraeusch…

 

 

 

3. einige betrachtungen zur musikalischen entwicklung, die fuer die untersuchungen von bedeutung sind

 

– verbindung aller kulturen, anthropologisch und ethnomusikologisch gesehen

-> einfache und komplexe systeme

– „…eine bestimmte Art von „botschaft“ in einer „sprache“ zu

uebermitteln, die sich freilich von der gesprochenen sprache

unterscheidet, da sie a-konzeptual ist, das gleiche gemeinsame

verlangen und notwendigkeit…“ die menschen an musik. komunikation

bindet.

 

– wenn das temperierte system aufgegeben wird, so entsteht die frage nach

einem neuen bezugssystem (problem!)

– von monodie zur polyphonie

 

– reihe der obertoene geht ins unendliche…

-> fast immer (bei jeder kultur) sind die ersten stufen der obertonreihe

vorhanden, oktave, terz, quint…

-> enwicklungserklaerungen

-> „die polyphonie bedeutet also eine wichtige etappe der musikalischen

evolution.“

– verschiedene moeglichkeiten monodischer klangquellen… siehe s.123

– dodekaphonie veraenderte die die polyphonen verhaeltnisse substanziell…

 

– aufarbeitung afrikanischer, asiatischer und vor allem indischer musik…

– einzigartigkeit indischer musik, -> einzige kultur, die die dauer

verraeumlicht hat…!

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– reflektion zur polyphonen bedeutung

 

 

4. untersuchung: das potential der musikalischen emission

 

– kritik an der offiziellen forschung, die ohne globale sicht das musik.

phaenomen beleuchtet

– mensch – religion (glaube) – musik

– dinge die wir kennen, dinge die wir nicht kennen, bekannte dinge ->

menschl. interesse…

-> wesen der musik bleibt unbekannt… siehe zitat savinio s.128

– theorien zum ursprung der musik… darwin, bucher…

-> beliebte theorie: die musik leitet sich aus der sprache ab…

– stimmt aber wahrscheinlich nicht,

spaltung von musik und sprache erst vor 200 000 jahren ->

„mandelkerntheorie“ warum wurde gesungen wenn man in den krieg zog?

angst? -> wie kann musik beruihgen -> wahrscheinlich …klang-sprache

das aelteste element…

-> erste instrumente (nach stimme und koerper) vor rund 40000 jahren zb

knochenfloeten

-> urspruengliche funktion von musik 1) bindung innerhalb der gruppe

staerken -> soziale identitaet -> fussballfans beim singen !? ->

vertrauen bilden 2) vermittlung von gefuehlen bzw emotionen -> wenn

man traurig, veraergert oder verliebt ist, wie teilt man

das ohne worte mit?

-> (oe1 radiokolleg von 15-18.05.06)

 

– „… auf der welt kein zivilisiertes gefuege gibt, das nicht musik

macht.“

 

– zitat s. 130

 

 

– „…gesang der pygmaeen der genesis der musik naeher ist als etwa die

symphonien oder die lieder schuberts.“

– nach schneider „… haengt die bedeutung einer silbe von der sprechhoehe

ab. daher ist eine solche sprache an sich schon musikalisch.“

– basierend auf schneider die frage, kann die ganze sprache als nur eine

art musik, von niedrigen niveau sein ?

 

– enge beziehung zwischen der organisation des klangs und der gemeinschaft

oder gesellschaft

 

– die mittel, mit denen der mensch musik macht, beschraenken sich auf vier

hilfsquellen: lautbildungsorgane (stimmen), gegenstaende zum schlagen,

gegenstaende zum reiben, (blas)-rohre

mit versch. loechern, um die laenge der luftsaeulen zu veraendern.

 

(31)

 

 

– s.132 -> bedeutung die die der mensch dem klang zugeordnet hat: „klang

die urspruengliche substanz aller dinge…“ schneider

 

-> bibel, hyroglyphen, texte indiens…

 

 

 

anhang

 

ueber die degeneration des begriffes musik

 

 

– ausfuehrliche beschaeftigung mit john cage und seinen ansichten und stuecken

-> wirkung auf darmstaetter ferienkurse 1958 und musikalische bedeutung

seines schaffens

 

 

 

 

 

 

1) claudio annibaldi s. 9 „Musik-Konzepte“ Heft 43/44, „Ueber Franco Evangelisti“

2) s.7 Dieter Schnebel „Musik Konzepte Heft 43/44, „Die andere Musik. Nachruf auf Franco Evangelisti“

3) s. 41 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

4) gespraech von theodor w. adorno und karlheinz stockhausen, im wdr 1960

4a) u. 4b) s.41 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“

5) s. 44 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

6) s. 46 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

7) s.49. F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

8) aus „musik konzepte franco evangelisti“ s.55; urspruenglich: uebersetzt nach: John Cage, Silence, Lectures and writings (1932-1961), Middletown (Connecticut), 1961, S. 83-84

9) s. 52 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

10) s. 59 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

 

 

(32)

 

 

11) s. 61 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

12) s. 61 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

12a) s. 62 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“;

„Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

13) s. 66 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

14) s.69 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

15) s.72 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“

16) s,73 F. Evangelisti „Musik Konzepte“ Heft 44/45; Franco Evangelisti“; „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“