Eine Mithrashöhle auf der Gradišče über St. Egyden
Die Abteilung für Ur- und Frühgeschichte am
Landesmuseum Kärnten hat in Zusammenarbeit mit der
Marktgemeinde Schiefling am See (Bgm. Valentin Happe)
vom 5. Juli bis 19. August 2011 im Bereich der Gradišče
(Parz. 635/1, KG St. Kathrein) oberhalb von St. Egyden
archäologische Ausgrabungen durchgeführt (Abb. 1).
Deren Ausführung konnte dank der großzügigen
Zustimmung der Grundbesitzerinnen, Frau Mag. Ingeborg
Maria und Frau Mag. Maria Magdalena Seher aus St.
Egyden, erfolgen. Die schwierige Logistik der Ausgrabung
im Hang bewältigten in dankenswerter und verlässlicher
Weise Mag. André Tschapeller (Lienz) sowie Richard
Drotleff (Klagenfurt) und Peter Seher (St. Egyden/Wien).
Seit den 1960er Jahren waren von der Gradišče vorgeschichtliche
bis römerzeitliche Kleinfunde bekannt geworden;
zudem sind im Kuppenbereich Wallspuren zu erkennen.
Ziel der Ausgrabungen war allerdings nicht die
Kuppe, sondern eine durch eiszeitlichen Felsversturz entstandene
Höhle im östlichen Bereich des Südabhanges, in
der seit geraumer Zeit von verschiedener Seite Kleinfunde
beobachtet worden waren, darunter Fundstücke, die an ein
spätrömisches Höhlenheiligtum denken ließen. Das hat
sich bestätigt und auch medial entsprechendes Echo
gefunden.
Die etwa von Westen nach Osten verlaufende Höhle ist mit
Vorplatz rund 10 m lang und rund 3 m breit. Im Bereich
des westlichen Endes der Höhle lässt der verstürzte mächtige
Konglomeratblock ein „Fenster“ frei (Abb. 2). Von
einer Nutzung in jüngerer Zeit stammt das Fundament
einer schmalen Mauer, Überrest einer kleinen Werkstätte.
In einer bis zu 70 cm mächtigen aschehältigen Schicht fanden
sich zahlreiche Tonscherben, Tierknochen und
Münzen sowie einige weitere Fundstücke. Diese fundhältige
Schicht hatte die Form eines Erosionskegels, der eine
Verbindung zu einem rund 5 m nördlich und parallel gelegenen,
Abb. 1: Die Gradišče über St. Egyden (im Vordergrund) und der
mächtige Kathreinkogel (im Hintergrund). Aufn. P. Gleirscher
Abb. 2: Die Kulthöhle auf der Gradišče über St. Egyden, die fundführende und stark aschehältige Schicht ist gut zu erkennen. Aufn. P. Gleirscher
von Westen her gut zugänglichen Höhlenraum
erbrachte. Dort sollten demnach die religiösen Feiern stattgefunden
haben. Unter den bisher geborgenen
Kleinfunden sind zunächst hunderte Tierknochen zu nennen.
Dabei handelt es sich um die Abfälle von kultischen
Mahlzeiten, denen auch Scherben von Trink- und
Speisegeschirr zuzuordnen sind. Zu nennen sind weiters
mehrere Fragmente von Öllämpchen. Zum Kultgerät zählen
ein Marmorblock (45 x 30 x 19 cm), der als eine Art
„Altarstein“ diente – und dessen Verlagerung durch
Erosion fragwürdig erscheint –, und mehrere, mit aufgelegten
Schlangen verzierte Kultgefäße (Abb. 3). Die
Schlangen, die sich über den Gefäßrand beugen, dürften
anzeigen, dass die Kultteilnehmer Wein aus diesen
Gefäßen getrunken haben. Ein Schlangengefäß trägt eine
leicht beschädigte fünfzeilige Weiheinschrift in lateinischer
Sprache (erste Lesung vor Abschluss der
Restaurierung durch Reinhold Wedenig, Graz): D(eo)
M(ithrae) fec(erunt) / ]bonius (etwa Libonius, Scribonius,
Trebonius oder Turbonius) / M]aximinus / c?]ilius (oder
andere) / ?]Vibio, das heißt übersetzt: „Dem Gott Mithras
geweiht von ?]bonius (etwa Libonius, Scribonius,
Trebonius oder Turbonius) M]aximinus und c?]ilius
?]Vibio.“ Wahrscheinlich sind zwei Stifter mit jeweils zweiteiligem
Namen im Nominativ genannt, nämlich [—]bonius
Maximinus und [—]c(?)ilius Vibio. Jedenfalls handelt es
sich um eine Auftragsarbeit, weil die Inschrift bereits vor
dem Brand in die Gefäßwand geritzt worden war.
Entscheidend ist, dass in der ersten Zeile der Gott Mithras
genannt ist. Damit ist das Gefäß europaweit als Rarität
anzusehen und festgelegt, dass es sich beim Höhlen –
heiligtum auf der Gradišče um ein Mithras heiligtum handelt.
Heiligtümer für den Mithraskult wurden, um den mit
dem Kult verbundenen Höhlencharakter zum Ausdruck zu
bringen, in den Boden eingetieft. Naturhöhlen brachten
diesen elementaren Grund gedanken umso deutlicher zum
Aus druck. Dazu zählt in Kärnten nicht nur das Mithras –
heiligtum auf der Gradišče, sondern auch jenes bei St.
Urban im Glantal.
Unter den im Mithrasheiligtum auf der Gradišče angetroffenen
Weihegaben verdienen auch ein silbernes
Palmblatt und eine tönerne Stierfigur Erwähnung. Die
häufigste Weihegabe waren zur damaligen Zeit Münzen,
von denen bisher fast 300 erfasst wurden. Sie stammen
beinahe zur Gänze aus spätrömischer Zeit, vor allem aus
dem 4. Jahrhundert (bis Kaiser Arcadius). Beachtung verdienen
außerdem ein eiserner Taschenbeschlag mit
Raubvogelkopfenden und das rückseitige Blatt einer kleinen
goldenen Riemenzunge (L. 1,6 cm) aus dem 6./7.
Jahrhundert, an die sich die Frage eines Nachlebens des
Kultes bis ans Ende der Antike knüpft, als der Kärntner
Raum bereits christianisiert war, wie auch die frühchristliche
Kirche am Kathreinkogel zeigt. Weil die Gradišče
nur rund 1 km südlich vom Kathreinkogel liegt, ist zu
vermuten, dass sich die Mitglieder der Kultgemeinschaft
wesentlich aus den dort stationierten Soldaten zusammensetzten.
Der Mithraskult ist eine von mehreren, im Orient beheimateten
Religionen, die im 3. und 4. Jahrhundert unter
den Beamten und Soldaten des Römischen Reiches weite
Verbreitung fanden, ehe diese Kulte im Jahre 391 zugunsten
des Christentums verboten wurden. Auch Kaiser wie
Commodus oder Aurelian waren Mithrasverehrer. Weil es
sich um einen Mysterienkult handelt, dessen Geheimnisse
nur den Eingeweihten enthüllt wurden, fällt seine
Beschreibung nicht leicht. Die Mitgliedschaft war auf
Männer beschränkt. In der Fachwelt gibt es zwei
Meinungen zum Mithraskult. Die einen halten den Kult
für eine Schöpfung Roms, die altpersische Glaubens –
vorstellungen und die Seelenwanderungslehre des griechischen
Philosophen Platon verband. Demnach stand der
persische Gott Mithra – der Gott des Vertrages und der
Vermittlung zwischen den Göttern und Menschen – im
Mittelpunkt. Der Legende nach wurde er an einem 25.
Dezember aus einem Felsen geboren. Durch die Tötung
eines Stieres (Tauroktonie) hätte er die Erde und den
Kosmos erschaffen, aus Blut und Samen des Stieres regeneriere
sich das Leben. Platon folgend glaubten die Anhänger
des Mithras, dass die Seelen von einem Fixstern aus über
sieben Sphären zur Erde gekommen wären, wohin sie bei
rechtschaffenem Lebenswandel nach dem Tod zurückkehrten.
Die Mithrasheiligtümer wurden als Wendepunkt
der Seelenwanderung verstanden. Der Weg der Seele
wurde von den Anhängern des Mithras symbolisch in
Form von sieben Weihegraden durchlaufen.
Abb. 3: Gradišče über St. Egyden, zum „Altarstein“ umgearbeiteter Marmorblock und, darauf stehend, das Schlangengefäß mit der Mithrasinschrift. Aufn. P. Gleirscher
Andere Forscher sehen in Mithras eine kosmische
Gottheit, die nach der Entdeckung der Präzession, der
zyklischen Taumelbewegung der Erdachse, über die
bekannten Planetengötter zu stellen war, selbst über den
mächtigen Sonnengott Helios. Denn nur eine übergeordnete
Gottheit hätte eine solche Schwankung verursachen
und die Fixsternsphäre bewegen können. Mithras war
demnach als mächtigste Gottheit im Kosmos zu verstehen.
Die Stiertötung und der scheinbare Bezug zu Persien werden
aus der Beobachtung erklärt, dass sich das Sternbild
des Perseus am Ende des Stierzeitalters genau über dem
Sternbild des Stieres befunden hat und diese Konstellation
als Tötung des Stieres durch Perseus verstanden wurde,
wobei die Plejaden den Dolchstoß anzeigten. Zugunsten
dieser These wird auch vorgebracht, dass es in der altpersischen
Religion keinerlei Zusammenhang zwischen Mithra
und irgendeiner Art von Stiertötung gibt.
Mit freundlicher Genehmigung von UNIV.-DOZ. DR. PAUL GLEIRSCHER [LEITER: Abteilung für Ur- und Frühgeschichte des LMK]
© Landesmuseum für Kärnten; download
www.landesmuseum.ktn.gv.at/wulfenia; www.biologiezentrum.at